Unsere demokratischen Werte schützen: Neujahrsansprache von Präsidentin Čaputová

Unsere demokratischen Werte schützen: Neujahrsansprache von Präsidentin Čaputová

Neujahrsansprache 2024 der Präsidentin der Slowakischen Republik, Zuzana Čaputová:

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Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger,
ich wünsche Ihnen an der Schwelle zum neuen Jahr viel Gesundheit, Zufriedenheit und Verständnis. Heute begehen wir den 31. Jahrestag unserer Eigenstaatlichkeit. Ich wünsche Ihnen, dass das Jahr 2024 mehr Frieden und Stabilität bringt.

Unsere privaten Wünsche und Erwartungen für das kommende Jahr können unterschiedlich sein. Aber in diesem Moment haben fast alle von uns die Hoffnung, dass sie in Erfüllung gehen. Selbst wenn Komplikationen und Schwierigkeiten auftreten, können wir sie lösen und die Dinge werden sich zum Besseren entwickeln.

Doch in den schwierigen Zeiten, in denen wir seit einigen Jahren leben, wird selbst unsere Hoffnung oft mit der harten Realität konfrontiert. Diese hat uns schon zu viele Krisen beschert, die für Unsicherheit sorgten und viele Menschen in schwierige Lebenssituationen brachten. Das vergangene Jahr war keine Ausnahme. Wir haben zahlreiche politische Konflikte, drei Ministerpräsidenten, einen harten Wahlkampf und vorgezogene Parlamentswahlen erlebt. Es war zweifellos ein schwieriges Jahr voller Veränderungen, Erwartungen, deren Erfüllung, aber auch Enttäuschungen.

Die vielleicht größte Veränderung brachten die vorgezogenen Wahlen. Zur Demokratie gehört auch ein Regierungswechsel. Durch Wahlen wird allerdings nicht die Gesellschaft ausgetauscht und auch die demokratischen Werte, auf denen sie basiert, dürfen sich nicht ändern. Und wenn grundlegende Veränderungen angestrebt werden, dann unbedingt nach gründlicher Analyse und ehrlicher Diskussion. Beim Aufbau unserer Staatlichkeit brauchen wir Wertekontinuität. Nicht nur eine erklärte, sondern eine reale.

Deshalb lasst uns unsere verfassungsmäßigen demokratischen Werte schützen und fördern. Schützen wir auch die Institutionen, deren Funktionstüchtigkeit für eine Demokratie erforderlich ist. Ob Strafverfolgungsbehörden, freie Medien oder Nichtregierungsorganisationen. Tun wir dies auch weiterhin mit Respekt und Anstand. Damit der Wunsch zu kämpfen niemandem den Geist trübt und nicht der Kampf selbst zum Hauptinhalt unseres Handelns wird, anstatt der Werte, die wir schützen wollen.

Der Aufbau und die Festigung der Staatlichkeit sind unsere gemeinsame Aufgabe. Vielleicht können wir nicht all ihre Mängel und Krankheiten sofort beseitigen. Dies darf aber kein Grund für eine Resignation sein. Wir sind nicht für das Ergebnis verantwortlich, aber wir tragen die volle Verantwortung für unseren Anteil daran.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
es wäre respektlos gegenüber der Wahrheit, wenn wir sagen würden, dass es keinen Grund für Unzufriedenheit und Missbilligung vieler Phänomene in unserer Gesellschaft gäbe. Es gibt sie listenweise. Aber reden wir auch darüber, worauf wir stolz sein und worauf wir uns in unserer Gesellschaft verlassen können.

Ein Grund zum Stolz sind sicherlich Sie, unsere Bürgerinnen und Bürger, unsere Zivilgesellschaft, die seit Jahren ihre Reife und Solidarität beweist. Aktive Bürger und Nichtregierungsorganisationen übernehmen seit langem wichtige Aufgaben in den Bereichen Sozialfürsorge, Bildung, Umweltschutz oder bei der Durchsetzung der Rechte von Minderheiten und aller Menschen ohne Unterschied. Wir können uns auch auf unsere Kommunalverwaltungen verlassen, die wieder ihre Lebensfähigkeit und Professionalität bewiesen haben und ein stabilisierendes Element für das Funktionieren unseres Staates in Zeiten des Wandels waren.

Das Ergebnis Ihrer Arbeit ist konkrete Hilfe, manchmal sogar systemische Veränderungen. Aber immer ist sie auch ein Beitrag dazu, dass wir uns selbst und einander etwas mehr vertrauen können.

Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger,
Hilfe ist die Grundlage des Vertrauens, und Vertrauen ist die Voraussetzung für einen funktionierenden Staat und eine zusammenhaltende Gemeinschaft.

Die primäre Aufgabe des Staates in Krisensituationen muss daher die direkte Hilfe für jene sein, die am Rande des Überlebens stehen. Armut betrifft längst nicht mehr nur Menschen, die ihren Job verloren haben, sondern auch arbeitende Menschen und ganze Familien, die ohne Rücklagen und unter Bedingungen leben, die ihre Würde gefährden.

Am meisten gefährdet sind heute Einelternfamilien und insbesondere die Kinder. Dabei bleiben wir den Kindern und der jungen Generation am meisten schuldig. Auch Experten warnen vor einer Kluft zwischen uns und der jüngeren Generation. Zahlreichen Studien zufolge fühlen sich junge Menschen unverstanden und einsam, werden Opfer von Mobbing und suchen zunehmend Hilfe bei Psychologen und Psychiatern. Und es ist keine Ausnahme mehr, wenn sie sich das Leben nehmen.

Wir müssen uns daher deutlich stärker dafür interessieren, was junge Menschen durchleben. Wir müssen ein sicheres Schulumfeld für sie schaffen, ihnen ein funktionierendes Rentensystem und nachhaltige öffentliche Finanzen hinterlassen und sie bei der Lösung der Klimakrise nicht in Unsicherheit lassen.

Die heutige junge Generation wird unsere Fehler, unsere Unaufmerksamkeit und Verantwortungslosigkeit stärker spüren als wir – ihre Eltern. Wir müssen in der Gegenwart verankert sein, dürfen aber nicht vergessen, dass uns dies nicht von der Verantwortung für die Zukunft entbindet.

Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger,
als Staatspräsidentin wende ich mich in diesem Neujahrsmoment ein letztes Mal an Sie. Als ich das Präsidentenamt antrat, sagte ich, dass wir offen darüber sprechen müssen, was uns hilft und was uns hindert, den Weg von der Slowakei, wie sie ist, zu einer Slowakei, wie sie sein könnte, erfolgreich zu bewältigen.

Fünf Jahre nach meinem Amtsantritt bin ich davon überzeugt, dass mangelnde Kultur, insbesondere in der Politik, und die Vielzahl an Konflikten in unserer Gesellschaft eines der größten Hindernisse für unsere Entwicklung sind. Viele hindert das daran, in der Slowakei zu bleiben, und andere daran, in die Heimat zurückzukehren.

Feindseligkeit wird zur Begleiterscheinung des öffentlichen Lebens. Sie dringt aber auch in unsere Familien, Haushalte und in die normalen Beziehungen zwischen den Menschen ein. Unhöflichkeit, Vulgarismen und Lügen sind keine Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche. Darauf greifen schwache Menschen zurück, die von einem derartigen Verhalten beeindruckt sind und es wiederholen. Wahre Stärke liegt in der Ruhe und in Gelassenheit. Und die größte Stärke besteht darin, sich selbst unter Kontrolle zu haben.

Es ist kein Zufall, dass eines der Merkmale der Demokratie die Fähigkeit ist, Meinungen auszutauschen und kulturvoll zu kommunizieren sowie auch Menschen mit abweichender Einstellung zu respektieren. Diese Eigenschaften und Qualitäten haben sich als eine notwendige Voraussetzung dafür erwiesen, dass Menschen zusammenleben und eine funktionierende Gesellschaft bilden können. Es handelt sich um Standards, die im Laufe jahrelanger Entwicklung entstanden sind.

Wir brauchen einfach mehr Wahrheit und Liebe, möge es auch pathetisch klingen. Schließlich muss es nicht pathetisch sein, sich an die über Jahrhunderte bewährten Werte und Qualitäten zu erinnern. Dass sie notorisch bekannt sind, macht sie nicht weniger wertvoll, sondern bestätigt im Gegenteil ihre Gültigkeit und Bedeutung. Und wir brauchen sie auch jetzt.

Wir alle brauchen mehr Liebenswürdigkeit und Verständnis in der Kommunikation, auch wenn wir anderer Meinung sind. Eigentlich gerade dann. Weil uns immer ein Mensch gegenübersteht, weil wir alle gemeinsam zur Menschenfamilie gehören. Menschen dürfen sich nicht bedroht fühlen, sondern sicher und zugehörig zu ihrer Gemeinschaft, zu ihrer Umgebung, damit sie ihre Fähigkeiten und Stärken vereinen können.

Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger,
trotz der schwierigen Jahre, die hinter uns liegen, müssen wir hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. In den fast fünf Jahren meiner Amtszeit habe ich Tausende von Menschen, unsere Bürgerinnen und Bürger, getroffen. Es waren außergewöhnliche Geschichten, große Talente, erfolgreiche Unternehmen, exzellente Wissenschaftler, Menschen in Fabriken, in Dörfern, in Städten. Und jedes Mal, wenn bei einem Auslandsbesuch die slowakische Nationalhymne gespielt wurde, war diese Erfahrung mit bei mir dabei. Mit mir zusammen waren dort diese unzähligen Gründen, stolz auf die Slowakei zu sein. Auf das Land unter der Tatra, das noch einen langen Weg vor sich hat, aber einen Teil des erfolgreichen Weges bereits zurückgelegt hat.

Ich wünsche Ihnen ein glückliches und erfolgreiches neues Jahr.

Redaktion der deutschen Fassung: Jana Hrbeková; Foto: TASR

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